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Im Lockdown sind die Städte eingefroren

Der Lockdown wird wohl länger dauern. Doch was kommt eigentlich danach? Bislang setzt der Online-Handel seinen Siegeszug ungebremst fort. Welche klugen Konzepte gibt es denn abseits des Handels? Nur Wohnen und Gastronomie?

Seit eineinhalb Monaten haben fast alle Geschäfte im Einzelhandel geschlossen. Wer abends durch die Stadt spaziert oder fährt, der sieht: Es ist wirklich überhaupt nichts mehr los. Das bisschen Leben, das tagsüber noch an mancher Einkaufsstraße herrscht, verzieht sich nach Sonnenuntergang. Eigentlich eine gute Zeit zum Einkaufen: In einem großen Verbrauchermarkt in der Wik in Kiel konnte man vor dem Lockdown am Sonnabend gar nicht mehr einkaufen, so voll war es. Und jetzt spazieren nach 20 Uhr vielleicht noch drei Kunden durch die Gänge.

Ein Besuch im Verbrauchermarkt

Gerade wurde wieder einmal über die Zukunft von Real diskutiert. Die Märkte sollen nach und nach verkauft oder geschlossen werden. Während sich die Unsicherheit anderenorts langsam lichtet, steht für die Filialen in Schleswig-Holstein noch nichts fest. Aber sie bieten einen gespenstischen Eindruck, die noch geöffneten Real-Märkte, wie im Gewerbegebiet Schwentinental bei Kiel.

Der Parkplatz ist an einem Dienstagabend im Lockdown kaum gefüllt. Da steht eine kleine Gruppe Jugendlicher, die offenbar gelangweilt Rennen mit Einkaufswagen fahren. Am etwas in die Jahre gekommenen Eingang sieht man deutlich den Investitionsstau, der hier herrscht. Und drinnen? Ist es gar nicht mal so leer. Die Kunden bummeln in kleinen Zweier- und Dreiergruppen durch die Gänge. Sie halten hier, schauen da. Dann laden sie aber nur wenig in ihre Einkaufswagen. Wie ein Shopping-Bummel in der Innenstadt sieht das aus. Vom Fahrrad bis zum Fernseher gibt es in diesen Märkten viel mehr als Lebensmittel zu kaufen. Freizeitbeschäftigung Einkaufen, spätabends, im ansonsten dunklen Gewerbegebiet. Übrigens zeigen Konsumentenstudien, dass Einkaufen in Deutschland die beliebteste Freizeitbeschäftigung ist. Kein Wunder, das so vielen im Lockdown die Decke auf den Kopf fällt.

Tipping-Point: das Kartenhaus fällt um

Das führt zu der Frage, was denn aus den Innenstädten werden soll, angesichts immer neuer Rekordumsätze im Onlinehandel. Der “Tipping Point” sei überschritten, heißt vom Verband der Onlinehändler. Ein schöner, bitterer Anglizismus. Man kann sich buchstäblich vorstellen, wie der klassische Einzelhandel umfällt. Kein Wunder, im Lockdown gibt es nicht sehr viele Shopping-Möglichkeiten, neben Online-Bestellungen wären da nur besagte Verbrauchermärkte.

Online-Shopping
Lieblingsbeschäftigung Shopping: das ist eigentlich nur noch online möglich. Foto pixabay

In diesem provozierenden Beitrag “Sprengt die Fußgängerzonen” kann es nicht schnell genug gehen mit dem Niedergang unattraktiver City-Einkaufsstraßen. Angesichts des Online-Booms hätten die sowieso keine Chance. Da mag viel Wahres dran sein, aber wollen wir das wirklich? Was soll denn in den Innenstädten sinnvolles passieren? Da wäre eigentlich nur mehr Wohnen – an einem mäßig attraktiver Standort. Oder mehr Kultur – aber die gibt es an anderen Standorten in der Stadt schon. Oder gar mehr Gastronomie, die es anderenorts auch schon reichlich gibt. Bleiben noch Behördenzentren.

Neue Rezepte sind bislang nicht in Sicht

Ein Zentrum bindet eine Stadt zusammen und stiftet ihr Identität – das haben wir häufig genug gehört. Und dazu gehört auch Einkaufen. Es ist doch klar: Eine mäßig attraktive City-Meile mit Kettengeschäften tut immer noch mehr für eine lebendige Stadt als eine reine Wohnstraße oder eine Gastro-Meile. Voll im Trend lag es, zumindest in der Vor-Corona-Zeit, den Autoverkehr aus den Städten zu verbannen. Auch das sollte noch einmal überdacht werden. Eine aufpolierte, aber menschenleere Fußgängerzone, in der die meisten Geschäfte leer stehen, erfüllt keine City-Funktion. Das schreckt eher ab. Etwas Verkehr sorgt zumindest dafür, dass die Kunden auch in die Städte kommen.

Besser wäre es, auf manchen Verbrauchermarkt auf der grünen Wiese verzichten. Jedenfalls besser, als die Innenstädte endgültig zu begraben oder untätig zu bleiben. Oder gar die Rezepte von vor fünf Jahren nach dem Lockdown umzusetzen. Aber gute Ideen und eine gute Mischung, die fehlen bislang noch. Natürlich gibt es Einzelhandelskonzepte, die auf das “Erlebnis Einkauf” setzen. Wie das aber zu einer funktionierenden Innenstadt zusammengebunden werden kann, ist offen. Hoffentlich kommen die bald, denn bis dahin wird der Siegeszug des Online-Handels weitergehen.

Die Crux mit den Filialen

In der Corona-Krise muss der Einzelhandel schwere Zeiten durchmachen. Aus den Innenstädten verschwinden schon jetzt viele Filialen – aber jetzt sind Banken dran. Das hat einschneidende Folgen.

Es ist noch gar nicht lange her, da hatte eine private Großbank damit geworben, dass sie ihr Filialnetz ausbauen und pflegen werde und nicht – wie andere Institute – abbaut. Schließlich, so hieß es in regelmäßigen Pressemitteilungen, gewinne man ja Monat für Monat Kunden hinzu. Das tun übrigens die meisten Banken, zumindest erklären sie es.

Erfreulich – aber nicht von Dauer. Auch dieses Institut musste eingestehen, dass es um Filialschließungen nicht herumkommt. Zu übermächtig sei der Digitalisierungsschub durch die Corona-Krise geworden. Deshalb werden Filialen auch in Hamburg und Schleswig-Holstein, die im Zuge des Corona-Lockdowns bereits geschlossen worden waren, gar nicht mehr aufgemacht.

Selbst Sparkassen schließen Filialen

Im Zuge der Recherchen zu diesen Filialschließungen stieß ich gleich auf die zweite große Privatbank, die ebenfalls gerade im Begriff ist, vier Filialen im Norden zu schließen – aber dies nicht an die große Glocke hing, schließlich seien die Kunden schon informiert. Es war schon fast erstaunlich, dass sie in einigen Orten an der schleswig-holsteinischen Westküste überhaupt noch vertreten war, die ja eigentlich fest in der Hand der Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken sind.

Und selbst die Sparkassen haben in der Fläche in den vergangenen Jahren kräftig abgebaut. Wenn es keine Filialen mehr gibt, kommt mit Glück noch ein Bank-Bus einmal die Woche vorbei, oder es wird auf das nächste Städtchen im Kreis verwiesen. Aber es ist auch eine Crux mit den Filialen: Sie werden weniger und weniger benötigt. Die Digitalisierung leistet dabei einen erheblichen Vorschub.

Zwischendurch gab es einige Spielereien, möchte man sagen, Bankberatung im Café etwa, wie sie Deutschlands größte Sparkasse in Hamburg ausprobierte. Nur – wer möchte mit einem Berater in einem wuseligen Bäckereicafé über seine Finanzen reden, während um ihn herum die Kunden kommen und gehen? So ziemlich das Gegenteil von Diskretion ist das. Kaum ein Szenario fällt einem ein, in dem dies Sinn machen würde.

Die Kunden können sich viele Wege schenken

Wenn die Gespräche also nicht im Cafe und nicht in der Filiale stattfinden – wo dann? Am guten alten Telefon höchstwahrscheinlich oder auch in der Videokonferenz mit dem Bankberater. Es hilft nichts: Bei beiden Wegen ist man ortsunabhängig, kann sich den Weg schenken. Bei wichtigen Terminen wird dies keine Alternative sein, aber für die regelmäßigen Gespräche schon. So wie das Bargeld auf dem Rückzug ist, wird es auch der Schalter in der Filiale sein.

Und so werden sich die Bankfilialen perspektivisch wohl einreihen in die Vielzahl der Geschäfte, die aus den Innenstädten abziehen. Die Postfilialen machten oft den Anfang. Es gibt gar nicht mal so kleine Bahnhöfe, in denen die DB ihr Reisezentrum geschlossen oder ausgelagert hat. Und selbst die Zukunft der Kinos ist keineswegs mehr sicher. Es scheint geradezu eine Crux mit den Filialen zu sein.

Die Zukunft der Innenstädte

Gastronomie wird in den Innenstädten eine größere Rolle spielen.
Gastronomie statt Filialen – das wird künftig in den Städten eine größere Rolle spielen. Foto: pixabay

Die Händler wissen natürlich längst, wo die Zukunft der Innenstädte liegt, wie zum Beispiel der Einzelhandelsverband für einen anderen Bericht über die Schließung von Karstadt-Standorten berichtet: Eine multifunktionale Innenstadt muss entstehen, in der es viel Aufenthaltsqualität gibt und viel Gastronomie, in der aber auch gewohnt wird und wo es eben auch Geschäfte gibt. Aber die Einkaufsstadt klassischer Prägung wird sich wandeln.

Statt zu Karstadt zu gehen, statt die Bank zu besuchen, oder in den Filialen einer Modekette zu shoppen, wird dort auch gebummelt und flaniert – aber eben nicht notwenigerweise zum Einkaufen. Noch steht übrigens die Corona-Krise dieser Entwicklung entgegen, denn noch gibt es Maskenpflicht, und das ist mit der Hindernisgrund Nummer eins für entspanntes flanieren. Aber wenn die Krise hoffentlich einmal eingedämmt ist, muss der Wandel beginnen. Einige Städte werden das schaffen, andere nicht. Man darf gespannt sein, wie rasch sich der Wandel vollzieht.