Kommentar: Was eine wirklich gute “Lockerungsorgien”-Debatte bewirkt
Gähnende Leere – so war das Bild in vielen Geschäften, die ich in der vergangenen Woche besucht hatte, um über den Einzelhandel zu berichten. Die Baumärkte zunächst einmal ausgenommen. Gleich ob kleine Händler in der überschaubaren Einkaufstraße oder große Möbelhäuser im Gewerbegebiet. Wenn man von “überschaubarer Nachfrage” oder wenigen Kunden schreibt, so ist das in Wahrheit meist noch ein sehr optimistisch gefärbtes Bild.
Dass es nicht so recht klappt mit dem Umsatz, liegt natürlich daran, dass die Kunden verunsichert sind. Gewiss, es gibt die Risikobereiten, die die Lockerungen nutzen, um dicht an dicht gedrängt bummeln zu gehen (in Berlin mögen das einige mehr sein als etwa in Kiel). Es gibt aber auch die überwiegende Zahl an Menschen, die von den (richtigen) Ermahnungen der vergangenen Wochen so beeindruckt sind, dass sie von einem Shopping-Bummel doch noch besser Abstand nehmen.
In den Medien kommen dieser Tage viele Interessenvertreter zu Wort. Eine beliebte Geschichte ist: “Warum dürfen die, und diejenigen nicht?”. Der erste Teil des Satzes lässt sich meist mit Baumärkten beginnen, in den zweiten Teil kann man beliebig alles, was geschlossen ist, einsetzen – also: “Warum dürfen Baumärkte geöffnet haben, Kirchen aber nicht?” oder “…Restaurants aber nicht” oder “…Hotels aber nicht” oder “…Kitas aber nicht”, oder, oder, oder. Das Erstaunen der Leser und Zuschauer über das “aber nicht” dürfte sich inzwischen ziemlich gelegt haben, trotzdem geht der “Dreh”, wie Journalisten sagen, immer noch weiter.
Das ist der Kern der Debatte um “Lockerungsorgien”, einen bemerkenswerten Begriff, den die Kanzlerin schon zu Wochenbeginn prägte, ebenso wie das Robert-Koch-Institut vor einem “Erdrutsch an Lockerungen” warnte. Jeder gute Erdrutsch beginnt damit, dass sich etwas Geröll lockert. Und wie könnte man eine solche “Lockerungsorgien”-Debatte besser einleiten als mit einem “Warum dürfen die, aber die nicht”.
Das ganze hat natürlich einen Haken: Diejenigen, die sich gegenüber Baumärkten benachteiligt sehen, glauben, dass sie von Gästen, Kunden, Besuchern überrannt werden, wenn sie doch jetzt nur in den “Genuss” einer Lockerung kommen würden. Aber: Die Mehrzahl der Menschen hat die Abstandsregeln verinnerlicht. So viele überreizen die neuen Freiheiten nicht. Deshalb sind die Einkaufsstraßen nicht voll.
Und trotz der bemerkenswerten Initiative des Gaststättenverbandes Dehoga am Freitag: Volle Restaurants wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Wenig würde gegen eine graduelle Öffnung der Lokale sprechen, wenn etwa auf Terassen serviert wird oder in Gasträumen mit großen Abständen. Doch wie viel Umsatz spärlich besetzte Tische den Gastronomen wirklich bringen, ist offen. Doch mehr ist, gerade angesichts der Kundenzurückhaltung, jetzt wohl kaum drin.
Wer dem Handel entgegenkommen möchte, sollte jetzt erst einmal die 800-Quadratmeter-Verkaufsflächen-Regel lockern, da ja in großen Geschäften mehr Abstand gehalten werden kann. Der Rest ergibt sich, langsam, aber bitte sicher. Die Verbraucher wissen meist sehr genau, wie weit sie gehen sollten. Deshalb können wir weiter munter eine “Lockerungsorgien”-Debatte führen, ohne das es große Konsequenzen hätte. “Wieso dürfen Baumärkte öffen, XXXX aber nicht?” Ganz einfach: Weil sowieso kaum jemand kommt.
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